Ramaschka
   
Krumau

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Stipendiumbericht

Mein erstes Vorgehen war die Erkundung der Stadt und Umgebung. Der Eindruck von Krumau war eher enttäuschend, da ich feststellen musste, dass die Stadt eine einzige Touristenkulisse ist, und relativ klein ist. So hat sich meine Vorahnung, dass die Inspiration eher außerhalb der Stadt, in der Natur zu finden wäre, bestätigt. Und schon fand ich einen verwunschenen Apfelgarten, der in der Winterzeit einen morbiden Eindruck hinterließ. Ich fing an, mit meiner Puppe in die Landschaft rauszugehen und Fotos zu arrangieren. Es entstanden „photographische Gedichte“, gezeichnet von der düsteren Stimmung der Jahreszeit und der einzigartigen, böhmischen Landschaft.
Parallel zu den Ausflügen modellierte ich im Atelier ein dreidimensionales Comic aus Keramik. Die Arbeit ging eher schleppend voran. Der ungewöhnlich große Atelierraum irritierte mich. Klein modellierte Keramikobjekte in solchen Räumlichkeiten waren schwer auszuführen. Deshalb entschloss ich mich nach Beendigung dieser Arbeit, mich mehr mit dem Raum auseinanderzusetzen. Mein Partner Roman Spieß arbeitete währenddessen an großen, raumfüllenden Objekten aus Ästen. So begann auch ich, von meinen fotografischen Ausflügen, allerlei Pflanzen und Äste mitzunehmen.
Als eine gute Inspirationsquelle erwies sich ein Bücherantiquariat, wo ich witzige Farbbände aus kommunistischer Zeit fand. Die Themen, die diese Bücher behandelten, waren besonders reizvoll für mich. Es gab vieles zum Thema Weltraumforschung. Auffällig war die Verherrlichung des kommunistischen Systems, als Verantwortlicher für neue Möglichkeiten der Menschheit, ins Weltall zu fliegen. Ich entdeckte viele Bücher über exotische Volksstämme mit Fotos von Ländern, die die tschechischen Bürger nur in ihren Träumen erreichen konnten. Solche Farbbände kannte ich noch aus Russland. Das Gefühl des Fernwehs das sie auslösten und gleichzeitig stillten, war mir nicht unbekannt. Eine andere Themensparte behandelten die Bücher über Sport. Mein größter Schatz war ein Bildband über eine tschechische Olympiasiegerin aus dem Jahre 1968. Anhand ihrer Biographie konnte man das Frauenideal der damaligen Zeit studieren. Das erste Foto zeigte eine tüchtige kleine Ballerina, umgeben von Familienmitgliedern mit bürgerlich strengen Gesichtern. Danach folgten Sportfotografien. Das letzte Foto des Buches stellte die erfolgreiche Sportlerin mit einem Neugeborenen am Arm dar. Das Gesicht des damaligen Stars fand ich auch im Heimatmuseum von Krumlov.
Neben unserem Atelier waren fünf große Papiercontainer – meine zweite Goldgrube. Ich begann, mich allmählich vom Material Keramik zu lösen. Die ersten Versuche mit getrocknetem Gras und leeren Eierschachteln machten mich gierig auf mehr ähnliche Experimente. Mein Partner begann seine Astkonstruktionen mit Nylonstrümpfen zu beziehen. Das war eine gute Methode, in relativ kurzer Zeit großes Volumen zu erzeugen. Mit unserer Tochter Margarita bauten wir allerlei Phantastisches aus Karton. Als Werkzeug diente uns die Heißklebepistole. Anfangs verwendete ich sie, um Spielzeug herzustellen, bis sie sich als für meine künstlerische Arbeit dienlich herausstellte. Was besonders vom Vorteil war - es gab wenig Ablenkungen. Die kleine dem Winterschlaf verfallene Stadt, zeigte sich als besonders guter Boden zum Heranreifen neuer Ideen. Nichts und niemand hinderte einen daran, diese Ideen sofort umzusetzen.
Nach anfänglichem Enthusiasmus kamen auch die ersten Krisen. Es gab keine Resonanz von Außen. So kamen wir immer mehr ins Stocken. Wir beschlossen, dem Schiele Artcentrum einen Besuch abzustatten. Die laufende Ausstellung zeigte Arbeiten von Künstlern die vor uns in Krumau tätig waren und bestätigte uns in unserem Tun. Gleichzeitig bekamen wir Besuch von einem Kollegen, er konnte uns produktive Kritik geben. Es war gut, dass es keine Gelegenheit gab, vor Krisen zu flüchten. In Krumau war man gezwungen diese bis zum Ende durchzustehen. Unwesentliches und Störendes überlebt solche Krisen nicht. Man fühlt sich gezwungen nach neuen Wegen zu suchen. Das spiegelt sich wiederum in der Qualität der künstlerischen Arbeit. Ich finde ein Auslandsstipendium insofern einmalig, als für den Künstler andere Entwicklungsprozesse möglich sind.
Die ersten zwei Monate vergingen sehr schnell. In dieser Zeit ging das dreidimensionale arbeiten sehr gut. Im hintersten Eck des Ateliers standen die bespannten und zum Teil auch schon grundierten Keilrahmen. Vor ca. vier Jahren hatte ich beschlossen, auf Acrylmalerei umzusteigen. Eines meiner Ziele für Krumau war, die Auffrischung der schwierigeren und wertvolleren Technik der Ölmalerei. Doch die furchtbare Scheu vor der leeren Leinwand hinderte mich daran mein Vorhaben umzusetzen. In den letzten Wochen des Stipendiumaufenthaltes überwand ich diese Furcht. Mein Erstes Motiv war eine Ableitung von einem Foto, auf welchem Ureinwohner ein riesiges Stück Fleisch zerlegen. Das Ergebnis war sehr zufriedenstellend, es machte mich neugierig auf mehr. Roman Spieß, welcher jeden Tag mit Staffelei und Aquarellfarbe in die Natur gegangen war, begann auch in Öl zu malen. Somit war die „Ölmalerei-Saison“ eröffnet. In dieser Zeit arbeitete ich mit den Büchern aus dem oben erwähnten Antiquariat. Was mich besonders zufrieden macht ist, dass ich einen für mich neuen Stil entwickeln konnte, welchen ich in Wien gut weiterführen kann. Wir beschlossen, am letzten Wochenende eine Abschlussausstellung zu machen. Das war ein Anlass, mit der Künstlerszene der Stadt in Kontakt zu treten. Die Straße, in welcher sich unser Atelier befand, war allgemein der Kunst freigegeben. Es gab jeden Tag etwas zu entdecken, meist in Graffiti-Form. Eine kleine Auslage wurde jede Woche mit Kunst neu bespielt. Das war die Stallen Gallery. Jeden Sonntag um zehn Uhr gab es eine Performance der Neubestückung des kleinen Glasraumes. Viele Menschen waren anwesend, man spürte großen Enthusiasmus und Hunger nach Kunst. Wir lernten Kollegen aus unterschiedlichsten Ländern kennen. Sie waren schon sehr neugierig, was in dem österreichischen Atelier in den letzten drei Monaten passiert ist. So fanden wir die Besucher für die geplante Ausstellung.
Die Präsentation bot einen guten Überblick unseres intensiven Arbeitens. Die lang ersehnten Rückmeldungen taten gut. Das ganze Wochenende war dem Kunstdiskurs gewidmet, z.B. darüber, ob es gut ist, alle Werke auszustellen, oder nur eine Auswahl. Es kam der Einfall, eine Vienna Stallen Gallery aufzumachen. Da wir ein gut gelegenes Atelier mit einer Möglichkeit für die Bespielung der Außenfassade haben, ist die Idee realistisch und durchführbar.
Nach dem aufregenden Abend der Werkpräsentation, kam die Frage des Transports auf. Es war trotz dieser Schwierigkeit auf alle Fälle richtig, sich beim Arbeiten nicht einschränken zu lassen. Die Möglichkeit, in dem großen Atelier seine gewohnten Formate zu verlassen und sich mit anderen Dimensionen auseinanderzusetzen musste ausgenutzt werden.
Beschenkt mit neuen Erfahrungen und neuen Ideen ging es am 29. Februar zurück nach Wien, und ich dachte mir: Wie schwierig das Künstlerleben auch sein mag, ich kann mir gar nichts anderes vorstellen. Und ich bete zum Himmel, er möge uns eine weitere Möglichkeit schicken - zum Reisen, Forschen und Arbeiten!

   
 
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